Samstag, 12. Februar 2011

Gegen Nazis und Bücher kaufen

War heute am Gänsemarkt um gegen die Nazis zu demonstrieren. Die NPD hielt dort eine Veranstaltung ab. Es war weiträumig abgesperrt. Angeblich sollen 1.700 Polizisten im Einsatz gewesen sein. Vielleicht waren es ebenso viele Gegendemonstranten. Die NPD hatte vielleicht 40 Leute aufgeboten. Aber eigentlich sah man sie nicht. Der Gänsemarkt war mit mehreren gestaffelten Ketten von Polizei in Kampfmontur abgeriegelt. An wichtigen strategischen Stellen standen mehrere Wasserwerfer und gepanzerte Fahrzeuge. Ich blieb drei Stunden. Leider spielte Dubtari nicht auf dem Lautsprecherwagen der Gegendemo, kurzfristig sagten sie ihren Auftritt wegen Erkrankung des Drummers ab. Schade, das wäre wirklich nett gewesen. Die Nazis hatten auch einen Lautsprecherwagen, aber sie konnten ihre ausländerfeindlichen Parolen nicht an den Mann bringen, zu laut waren die Rufe: Nazis raus! Ich blieb eigentlich nur so lange, weil ich mich fragte, wie die Nazis da je wieder heil vom Platz kommen wollten. Aber die Polizei hatte das ganz geschickt angestellt und plötzlich waren die Nazis weg, keiner wusste wie und wo.

Völlig durchgefroren ging ich dann in die Collonaden zu 2001 und stöberte auf den Büchertischen. Mist! Natürlich kam ich nicht ohne Buch da raus. Ich kaufte von Irving: 'Bis ich dich finde'. Der Begleittext versprach sein Opus Magnum (>1000 Seiten), das Beste seit Garp. Naja, und da Garp vor ca. 30 Jahren das erste und einzige war, was ich je von Irving gelesen hatte, dachte ich, na gut, dann schließen wir mal den Kreis, die Bücher dazwischen kann ich ja später immer mal lesen. Die gebundene Ausgabe war von 27 auf 9 Euro herunter gesetzt. Trotzdem, ich habe mein Bücherbudget für diesen Monat eigentlich schon aufgebraucht, denn ich kaufte bereits eine Box mit allen sechs Bänden von Maupin 'Stadtgeschichten', dazu die ersten drei Bände in englischer original Fassung, dann zwei Taschenbücher Ian Fleming James Bond Romane, sowie 'Total perfekt alles' von Thomas Weins, ein schwuler Roman aus der Bauwagenszene Berlins. Das dürfte für diesen Monat reichen! Wäre vernünftig, wenn ich jeden Monat nur so viele Bücher kaufe, wie ich auch lesen kann. Dabei habe ich noch einige ungelesene Bücher rumstehen. Aber wenigstens habe ich mich diesen Monat beim Bücherkaufen etwas besser im Griff, als im Januar.

Dienstag, 1. Februar 2011

David Kato RIP

War heute, obwohl eigentlich müde und verschnupft, doch in der Langen Reihe und habe mich der Mahnwache angeschlossen. David Kato wurde Ende Januar in Uganda ermordet. Seine Täter kommen wohl aus dem fundamentalistischen Christenumfeld, er passte ihnen wohl nicht, weil er für die Emanzipation und Akzeptanz Homosexueller in Uganda eintrat. Das musste er nun mit seinem Leben bezahlen. Was soll nur daran christlich sein, jemanden wegen seiner Neigungen zu ermorden? Herrje, wie verblendet Gläubige sein können! Hängen angeblich einer Religion der Liebe an und massakrieren jemanden wegen seiner Art zu lieben...


Es stand ein kleines Grüppchen, vielleicht zwanzig Leute, in der kalten Dunkelheit, hielten Bilder von David hoch und entzündeten Kerzen. Nach einer halben Stunde löste sich die Gruppe wieder auf. Tolle Aktion. Danke Internet.

Anschließend pilgerte ich zum Männerschwarm, hängte dort ein Bild von David auf, kaufte mir zwei leckere Bücher (Rezension hier in wenigen Tagen!), setzte mich dann ins Gnosa, und bei einem Assam begann ich die neuen Bücher anzulesen. Super! Das Gnosa ist immer noch ein Nichtrauchercafé. Yippie! Leider kostet der Tee dort doppelt so viel wie im Spunt.

Dienstag, 25. Januar 2011

Bevor es Nacht wird

Die letzten kurzen Kapitel von Reinaldos Autobiographie las ich ruhig und leicht, wusste ich doch was am Ende kommt. Von AIDS schwer gezeichnet und ohne Geld oder eine Krankenversicherung, war er im New York der 80er Jahre dem Tod geweiht. Er machte sich darüber keine Illusionen. Erst kürzlich war sein engster Freund und Vertrauter, Lázaro, obwohl bei einem Autounfall schwer verletzt, unbehandelt aus dem Krankenhaus vor die Tür gesetzt worden, weil er mittellos und ohne Versicherung war. God's own country.

Die vielen Kapitel davor las ich oft mit einem Klos im Hals. Wie heiter und schamlos begann doch das Buch und Reinaldos Leben! Doch sobald sich zeigte, dass Reinaldo zu jener Art Mensch gehört, die nirgendwo geduldet wird, außer am Rand von was für einer Gesellschaft auch immer, kam er in die Kreise der Hölle. Immer enger zog sich die Schlinge um ihn. Immer seltener wurden im Lauf der Jahrzehnte seine unbeschwerten Augenblicke, am Meer, in den nächtlichen Straßen von Alt-Havanna, mit Freunden im Park. Was zuerst nur leicht zu verschmerzende Ungerechtigkeiten ihm oder anderen Schriftstellern gegenüber waren, uferte später in himmelschreiende Ungerechtigkeit und bösartige Verfolgung aus. Gott scheint ein Freund von Darwin zu sein.

Wer niemals unter einem totalitären Regime leben musste, sollte Reinaldos Lebensgeschichte lesen. Unbarmherzige Verfolgung durch die Staatssicherheit, rigorose Ausgrenzung nonkonformistischer Individuen, schmerzhafter Verrat durch Vertraute, Freund wie Familie, sind ein grausames Schicksal. Der Getriebene weiß warum er leidet, weiß aber auch, dass er sich nicht verleugnen kann, sich nicht verdrehen und verstellen will, nur um zu gefallen. Immer schneller rennt er in eine Sackgasse. Immer geringer wird die Chance durch Aufgabe noch etwas zu retten, weder für sich, noch im Angesicht seiner Verfolger, der Staatssicherheit. Wie eine Beute wird er gehetzt. Gott kennt kein Mitleid.

Eine politische Justiz und unmenschliche Gefängnisse tun schließlich ihr übriges. Der Dissident wird in den Schraubstock der Diktatur eingespannt und für das Brechen vorbereitet. Öffentlicher Widerruf, verräterische und falsche Bezichtigung von Freunden und Kollegen könnte das eigene, wertlos gewordene Leben retten. Manche beugen sich, leisten Abbitte, widerrufen. Andere weigern sich und gehen unter. Und Gott trinkt Tee mit Darwin.

Wer in Kuba seine Pflicht erfüllt, eine dem System gefällige Ausbildung ohne zu murren absolviert, dann anschließend sich dorthin versetzen lässt wo die behördlichen Stellen einen haben wollen, wer folgt ohne Widerstand zu leisten, wer konform ist und nicht selbständig oder gar kritisch denkt, dem gibt der allmächtige Staat das zum Leben Notwendige: eine Wohnung, einen Lohn, Grundnahrungsmittel auf Bezugsschein, Zugang zur Gesundheitsversorgung. Aber wehe nicht. Gott sieht alles.

Ich kenne meine eigene Natur, ich weiß, dass mich ein ähnliches Schicksal wie Reinaldos erwartet hätte. Ob in der DDR oder in der UdSSR, auch ich wäre ein Dissident gewesen und hätte das gleiche Los geteilt.

Reinaldos Lebensgeschichte ist eine Mahnung an alle Salon-Linken. Sie liebäugeln mit der Befreiung der ausgebeuteten und unterdrückten Massen, wofür sie meinen Respekt und meine Sympathie haben. Aber sie sind blind gegenüber den totalitären, real-existierenden und unmenschlichen Auswüchsen ihrer Ideologie. Die Perversion zeigt sich erst dann, wenn sie aus den Seiten gut gemeinter Bücher in die Welt der Menschen tritt, um dann auf dem gleichen Weg, wie vorher manch andere gut gemeinte Utopie, zu scheitern, verraten durch das Böse in der menschlichen Natur. Der Teufel schläft wohl selten.

Im Lauf der Zeit steigert sich der Druck auf Reinaldo, die Welt um ihn herum wird immer wahnsinniger, sein Leben immer ungewisser. Auf dem Höhepunkt schließlich kann er mit mehr als 100.000 anderen Kubanern die Insel in Richtung USA verlassen. Natürlich wird er auch dort nicht glücklich. Wie auch? "Im Kapitalismus wird einem, wie im Kommunismus, in den Arsch getreten", schreibt er. "Nur, im Kapitalismus darf man schreien", fügt er hinzu.

Er lernt, dass die Freie Welt nicht frei ist. Die zehn Jahre im Exil verbringt er ohne Geld in New York und lebt auch hier am Rand der Gesellschaft. Nur, diese Gesellschaft ist ihm gegenüber nun vorwiegend gleichgültig. Wäre sie es doch nur in Kuba gewesen!

Als Dissident in Kuba war er für seinen mexikanischen Verleger noch von Wert der sich in Pesos umwandeln ließ (wovon Reinaldo nichts ab bekam). Sobald er aber den Nimbus des verfolgten Regimekritikers verloren hat, ist er nur ein Niemand unter vielen. Erneut ist er ein Bauer im Spiel anderer, nur Objekt, wird benutzt, wird ausgenutzt, nach Belieben geopfert, bei Bedarf fallen gelassen.

Schließlich geht die bunte tropische Pflanze Reinaldo im New Yorker Winter Ende 1990 ein, welkt, ermattet, gibt sich geschlagen und nimmt sich am Ende das Leben, da es ihm nur noch körperliche Qual bieten kann.

Planet der Verdammten

Ich lese den Blog von Yoani aus Kuba. Seit Jahren berichtet sie über ihr Leben, aber vor allem von den Fesseln, die in Kuba spürt, wer sich bewegen will. Ich kann das alles sehr gut nachvollziehen und in der gleichen Situation würde ich mich ähnlich verhalten. Ich bin auch niemand, der sich duckt und schweigt. Ich habe auch hier meinen Mund aufgemacht und mich gerade gemacht. Es hat mir viel Ärger eingebracht, in der Schule z.B. war es sicherlich ein Grund, warum ich mein Abitur nicht machte. Und auch später, im Job, habe ich immer für Gerechtigkeit gekämpft und viele Schwierigkeiten dafür auf mich genommen. Ich weiß welcher Impuls Yoani antreibt.

Aber wie ist es denn jetzt hier? Auch hier gibt es Fesseln und Ketten, die man auch hier nur spürt, wenn man sich bewegen will. Gibt es denn Freiheit, also die Freiheit von allen Fesseln, überhaupt? Streben wir nicht immer ohne je anzukommen? Es scheint mir wie in dem Roman 'Planet der Verdammten' von Pierce Anthony zu sein: Dort landet der Protagonist auf einem Strafplaneten dessen unterirdisches Höhlensystem ein riesiges Gefängnis ist. Es gibt mehrere Ebenen darin, und je tiefer man absteigt, umso schlechter sind die Bedingungen. Kuba liegt vielleicht im Moment eine Ebene unter Deutschland. Aber Deutschland ist auch nicht das Land der Freiheit und Glückseligkeit. Es ist auch nur eine weitere, eine andere Ebene im Gefängnis.

Samstag, 22. Januar 2011

Krise und Kuba

An solch sehr persönlichen Berichten über Kuba, wie sie Reinaldo liefert, kann man das Leid erahnen, das Menschen, die von der Norm abweichen, in Kuba erfahren. Für Andersdenkende und Andersfühlende kennt das System nur Umerziehung, Bestrafung und Zensur. Das System, allen voran Fidel, der die letzte Instanz in Kuba in allen Dingen ist, will nicht von den Menschen lernen. Das System ist darauf ausgelegt die Menschen zu belehren, es geht wie selbstverständlich davon aus, den richtigen Weg zu kennen. Und es gibt im Selbstverständnis der Kubanischen Führung nur einen richtigen Weg. Das ist das Schreckliche an ideologisch begründeten Gesellschaften.

Das Buch von W. Hanf schildert zu recht die Errungenschaften Kubas. Angefangen vom trinkbaren Trinkwasser (alles andere als eine Selbstverständlichkeit in Lateinamerika), bis hin zum Netzwerk des Gesundheitssystems und der Bildung für alle, gebührt Fidel Respekt und Anerkennung. Den Kubanern ist vieles erspart geblieben, was ihre lateinamerikanischen Nachbarn in den letzten Jahrzehnten durchmachen mussten.

Doch jetzt droht Kuba eine Krise. Das Land befindet sich in einer großen wirtschaftlichen Notlage. Es werden zigtausend Arbeitskräfte entlassen und die Gesellschaft hat keine Erfahrung im Umgang mit Arbeitslosen. Es gibt keine wirklichen Sicherungssysteme. Bisher hatte jeder Kubaner eine Arbeit. Das wird sich nun ändern. Es ist zu befürchten, dass die Kubaner mit ihrer Regierung sehr unzufrieden sein werden, dass Unruhen ausbrechen könnten. Niemand weiß, wohin das führen wird. Wird es eine gewaltsame Unterdrückung der drohenden Proteste geben? Wird es einen Platz des Himmlischen Friedens in der Karibik geben? Oder wird die Regierung zusammen brechen? Wie werden sich die USA verhalten? Hat Kuba eine Schutzmacht? China? Nord-Korea? Castro wird nicht jünger, sein Bruder ist nur wenige Jahre jünger. Wer könnte ihm nachfolgen? Wird der Nachfolger die gleiche Autorität haben, wie Castro sie inne hatte? Wohl kaum. Die Zeichen in Kuba stehen auf Sturm.

Donnerstag, 20. Januar 2011

Fidel und Kuba

Ich informiere mich gerne umfassend. Neben Arenas' autobiographischem Roman über sein Leben in Kuba, lese ich zur Zeit parallel 'Castros Revolution - Der Weg Kubas seit 1959' von Walter Hanf. Der Autor war mehr als fünfundzwanzig Jahre als Journalist in Lateinamerika unterwegs und hielt sich drei Mal in Kuba auf (1965, 1986, 1988). Im Vorwort betont er, dass er für die Sender und Magazine, für die er Artikel schrieb, immer seine persönliche Meinung außen vor lassen musste. Objektivität und Sachlichkeit wurde von ihm verlangt. Aber, das wird bei der Lektüre seines Buches klar, er hegt viel Sympathie für Castros kubanischem Weg, auch wenn er Missstände beim Namen nennt. Insofern ist solch ein Buch als Begleitlektüre zu Arenas' Roman sinnvoll. Denn Reinaldo lässt kaum ein gutes Haar an den Lebensumständen in Kuba, zu groß ist die Verletzung, die er dort erfahren musste. Von Reinaldo Objektivität im Umgang mit Kuba zu erwarten, ist Unsinn.

Hanf kennt die Lebensumstände der Armen in allen lateinamerikanischen Ländern aus eigener Erfahrung. Das Elend der Besitz- und Rechtlosen dort ist ihm vertraut. Darum kann er Kuba auch gut beurteilen. Denn es würde wenig Sinn machen Kuba mit Deutschland zu vergleichen. In einem einfachen Satz zusammengefasst: Es gibt dieses himmelschreiende Elend in Kuba nicht, welches man in den Slums der anderen lateinamerikanischen Staaten vorfindet! Der soziale Sektor in der kubanischen Gesellschaft ist hervorragend entwickelt und er setzt Maßstäbe für Lateinamerika. Nirgendwo sonst in der Region gibt es eine so gute Gesundheitsversorgung, die sich teilweise mit westeuropäischen Ländern vergleichen lässt. Kindergärten, Schulen und Universitäten gewährleisten ein konkurrenzloses Bildungsniveau. Ein dichtes Netz von Landärzten, Kreis- und Regionalkrankenhäusern bis hin zu exzellent ausgestatteten Spezialkliniken, bieten den Kubanern einen kostenlosen Zugang zu Gesundheitsberatung und Behandlung. Eine Quote ermöglicht es mittellosen Einwohnern aus anderen lateinamerikanischen Ländern diese Infrastruktur kostenlos zu nutzen. Tausende kubanische Ärzte helfen im Ausland Einwohnern unterentwickelter Länder. Insofern gebührt Fidels Errungenschaften eine weltweite Anerkennung, die ihm leider aus Gründen der westlichen Propaganda verwehrt bleibt. Aber die Geschichte wird über ihn ein besseres Urteil fällen, zumindest was dieses Thema angeht.

Ansonsten herrscht in Kuba eine typisch kommunistische Mangelwirtschaft. D.h. die Grundversorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln (auf Bezugsschein) und den nötigsten Dingen des täglichen Bedarfs ist gewährleistet. Aber westlichen Überfluss gibt es natürlich nicht. Und, ehrlich gesagt, warum auch?
In unserer Welt werden täglich neue Bedürfnisse erfunden und mit medialer Gehirnwäsche implantiert.Wozu dieser Konsumterror und der Überfluss an Konsumgütern führt, kann man ja bei uns klar erkennen: Raubbau und Umweltzerstörung um diese im Grunde überflüssigen Produkte herzustellen und zu vertreiben (alleine für Plastiktüten verbrauchen wir täglich tonnenweise Erdöl!). Und neben den Umweltschäden zeigt unsere irre gewordene Konsumgesellschaft auch andere Schäden: Eltern lassen ihre Kinder verwahrlosen, von Hartz-4 kaufen sie sich Alkohol und einen Großbildfernseher und schicken ihre Kinder ungefrühstückt zur Schule, oder auch nicht. Gut, das sind Ausnahmen und soll natürlich auf keinen Fall Hartz-4 Empfänger pauschal verunglimpfen, aber es mehren sich bei uns doch alle möglichen sozialen Missstände, die wohl Auswüchse unserer hohlen Konsumwelt sind.
Man wird in Kuba z.B. keine Jugendlichen finden, die schon am Anfang ihres Lebens in eine Schuldenfalle (Handykosten, Dispo) geraten sind, und nun die nächsten Jahre ihres Erwerbslebens (falls sie eine Ausbildung und anschließend einen Arbeitsplatz finden!) erst mal ihre Schulden abtragen dürfen. Ihnen werden keine wertlosen Riesterrenten-Verträge aufgeschwatzt, die nur den Banken nützen. Sie werden nicht als Verbraucher und Konsument gesehen, behandelt und erzogen, sie werden nicht die Hälfte ihres Nettoeinkommens für die Miete einer Wohnung abdrücken, sie werden nicht 200.000 Werbespots gesehen haben, wie hier üblich, usw, usf.

Es ist also nicht alles schlecht in Kuba, wie die westliche Propaganda es uns glauben machen möchte. Es gibt erstaunlich positive Errungenschaften. Aber es ist eben auch nicht das Paradies, wie die Propaganda der anderen Seite uns glauben machen will. Es fehlt an individueller Freiheit. Und das wiegt für Menschen aus der westlichen Welt sehr viel, denn wir sind es gewohnt, ja, es gehört hier zu einer zivilisatorischen Errungenschaft, sich zu individualisieren. Dort, in Kuba, ist also gewiss nicht alles schlecht. Und hier ist gewiss nicht alles gut.

"It seems that you can't get - anymore than half-free..." singt Bruce Springsteen in seinem Song 'Straight Time'.

Reinaldo und Kuba

Reinaldo Arenas sieht sich als Opfer der Revolution. Ihm hat die Revolution in Kuba keine Verbesserung seiner Lebensumstände gebracht, im Gegenteil, er war eingekerkert, wurde gefoltert, verfolgt und zensiert. Sein Leben wurde ihm geraubt. Castros Kuba war für ihn die Hölle, obwohl er die Revolution an sich gut fand und unterstützte. Und er ist nicht der einzige Leidtragende.
Natürlich trauert er nicht den Großgrundbesitzern nach, die im Zug der Revolution alles verloren haben. Er hat auch keine Probleme damit, dass die Schergen des Diktators gejagt, gefangen und exekutiert wurden. Allerdings begreift er nicht, warum sein Großvater seinen kleinen Gemüseladen im Dorf schließen musste.
Es wurden offenbar viele ohne fairen Prozess hingerichtet, obwohl sie unschuldig waren. Sie wurden  beschuldigt, weil sich jemand an ihnen rächen wollte, weil sie persönliche Feinde hatten. Faire Prozesse gab es nicht. Und ohne faire Prozesse gibt es kein Recht, keine Gerechtigkeit.
Gut, man könnte das entschuldigen, nach dem Motto, wo gehobelt wird, fallen Späne. Es scheinen in den ersten Monaten der kubanischen Revolution ähnliche Lynchmobs für den Tod Unschuldiger verantwortlich zu sein, wie in China zur Zeit der Kulturrevolution. Zumindest legen die Schilderungen von Reinaldo diesen Vergleich nahe, auch wenn er den Vergleich selbst so nicht zieht. Und es wäre auch kein guter Vergleich, wenn man die Zahl der Opfer sieht, die während der Kulturrevolution sicherlich deutlich höher waren.
Aber die systematische, und über dreißig Jahre stattfindende Verfolgung Homosexueller, ist nicht mehr mit dem Chaos, welches in den Momenten des Umbruchs herrschte, zu erklären.
Es ist eben kein Zufall, dass es bisher in jedem kommunistischen Land diese systematische Verfolgung Homosexueller gab: in der UdSSR, in der DDR, in China. Immer waren Schwule automatisch als konterrevolutionär eingestuft. Diese pauschale Beurteilung ist natürlich sachlich gesehen unhaltbar.
Wieso sollte jemand nicht für die Entmachtung von Großgrundbesitzern sein, nur weil er als Mann Männer liebt? Warum kann ein schwuler Mann nicht für die Befreiung der unterdrückten Massen sein? Wieso sind kommunistische Herrscher und Systeme reflexartig gegen gleichgeschlechtliche Liebe? Warum gehört im Kommunismus zur Befreiung der Massen vom Joch, nicht auch die Befreiung von sexuellen (im Grunde christlichen) Normvorstellungen? Wovor fürchtet sich ein kommunistisches Regime? Welches Menschenbild versteckt sich im Mäntelchen der kommunistischen Befreiung?

Fidel gab nun ein Interview, in dem er erklärt, es habe in Kuba wichtigeres gegeben, als sich um die Belange der Homosexuellen zu kümmern. Mit anderen Worten: er hatte keine Zeit gehabt, über das Thema nachzudenken. Aber warum muss man lange darüber nachdenken? Was geht es den Staat an, mit wem man ins Bett geht? Welchen Machtanspruch maßt sich eine Regierung an, wenn sie sich in solche privaten und zutiefst persönlichen Belange einzumischen wagt? Muss man lange darüber philosophieren, um diese Fragen zu beantworten? Es zeigt sich an solchem Thema, dass der Kommunismus als Ideologie ein zweifelhaftes Verhältnis zu den individuellen Menschenrechten hat. Überhaupt interessiert sich der Kommunismus sehr wenig für das Individuum an sich. Das Individuum ist im Kommunismus vor allem ein Teil einer Masse. Und es geht nur um die Belange der Masse. Aber wie soll ein Individuum in einer Masse glücklich sein und werden, wenn seine Bedürfnisse keine Rolle spielen?